Thomas Eller

Denkmal für Georg Elser - 2. Preis (nicht realisiert)

2010

“Elser ist der eine wahrhaft große Mann, den die deutsche Nation im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. … Elser handelte nicht erst wie die Generalität, als sie merkte, der ‘Führer’ bringt die Rote Armee auf ihre Rittergüter.” Rolf Hochhuth

Am 8. November 1939 verübte Georg Elser im Münchner Bürgerbräukeller ein Bombenattentat auf Adolf Hitler, das nur knapp scheitert. Damals schon glaubte niemand an eine Einzeltäterschaft – eine Tatsache, die dem Gedenken an Georg Elser bis heute schädlich war. Umso deutlicher muss man heute den Namen und die Tat dieses weitsichtigen Mannes, der als eigenständig Handelnder mit einem Tyrannenmord den 2. Weltkrieg verhindern wollte, bekannt machen. Der vorliegende Entwurf soll dazu beitragen:

1. Umbenennung des U-Bahnhofs Mohrenstraße in ‘Georg-Elser-Denkzeichen’

In der Verlängerung der Voßstraße und unter dem nicht mehr vorhandenen Wilhelmplatz liegt der von Alfred Frederik Elias Grenander 1908 fertig gestellte und 1950 von der DDR wieder aufgebaute U-Bahnhof, der seit 1990 den Namen ‘Mohrenstraße’ trägt.
Mit der Umbenennung aber des U-Bahnhofs würde der Name Georg Elsers nicht nur am Ort der Gedenkstätte genannt werden, sondern die Erinnerung an den Mann sich auf viel effektivere Weise medial in die Stadtpläne Berlins einschreiben und ihm den dauerhaften Platz im kollektiven Gedächtnis verschaffen, den er verdient.

Der Name ‘Mohrenstraße’ für den U-Bahnhof, sowie die Straße selber erzeugt seit fast 10 Jahren Proteste. Im Februar 2005 verabschiedete der Kulturausschuss der BBV-Mitte einen Antrag der auf Umbenennung der Mohrenstraße zielte. Zuletzt im Februar 2009 malten „autonome Häschen“ Ö-Punkte auf die Straßenschilder der Mohrenstraße.
Es steht zu vermuten, dass die auffällig häufige Verunstaltung des U-Bahnhofs durch Graffiti auch mit der politisch abgelehnten Benennung zu tun hat.

Die Chancen einer Umbenennung des U-Bahnhofs können wegen der Anonymität des Wettbewerbsverfahrens zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum realistischer eingeschätzt werden, als zum Zeitpunkt der ersten Phase. Leider waren mir dadurch die Hände gebunden. In einem längeren Gespräch mit Herrn Wandtke von SPM Stein Projektmanagement wurde klar, dass diese Themen nicht auf einer Sachbearbeiterebene entschieden werden können, sondern Teil eines öffentlichen politischen Prozesses sein müssen. Auch Herr Wandtke konnte in dieser Sache also wenig bewegen.

Das heißt, Sie, die Jury müssen sich entscheiden, ob Sie diesen politischen Meinungsbildungsprozess wollen. Nachdem nahezu alle relevanten Institutionen des Landes und Bezirks in der Jury vertreten sind, bin ich guter Hoffnung, dass die Umsetzung des Projektes dadurch leichter zu ermöglichen ist. Wenn Sie positiv entscheiden, werden sehen, dass ich mich dann mit vollem Gewicht in das Projekt begeben werde und Partner, Unterstützer und ggfs. Sponsoren suchen werde, die den Prozess unterstützen und begleiten.

Dieser öffentliche Anteil an der Genese des Denkzeichens wird ein integraler Bestandteil dessen und wird helfen Georg Elser im kollektiven Gedächtnis viel tiefer als bisher zu verankern.


2. Der U-Bahnhof als Gedenkstätte

Unweit des ehemaligen Führerbunkers unter der Reichskanzlei befindet sich auf der anderen Seite der Wilhelmstraße der U-Bahnhof Mohrenstraße. Nach der Lektüre von Angela Schönbergers, „Die Neue Reichskanzlei von Albert Speer“ erscheint es plausibel, dass der zum U-Bahnbau verwendete Saalburger Marmor der Sorte ‘Altrot’ aus der Reichskanzlei stammt.
Dem widerspricht der Kunsthistoriker Hans-Ernst Mittig in seinem Aufsatz “Marmor der Reichskanzlei”, weil er in dieser Zuschreibung Reste einer nationalsozialistischen Propaganda von “Ewigkeit“ sieht, die einen Reliquienkult ins Werk setzt, der die Symbolkraft der Substanz aktuell hält.
Wer hier historisch recht behält, ist für den vorliegenden Entwurf nicht so relevant. Ob die Provenienz des Saalburger Marmors nur zugeschrieben ist, oder nachgewiesen werden kann, ist eine Frage, die im Umgang mit Kunstwerken ähnlich entscheidend ist. Die Wirkungsmacht der Substanz liegt vor allem in der Zuschreibung, das heißt im Glauben der Menschen genau daran.
Der Verfasser entschied sich in der ersten Runde den Aufsatz von Mittig so prominent zu platzieren, weil ihm in die Haltung, gängige Zuschreibungen zu hinterfragen in einem sinnfälligen Zusammenhang zu Elsers geistiger Freiheit stand und Elsers Fähigkeit, sich nicht durch Nazi-Propaganda blenden zu lassen.
In diesem Zusammenhang ist der Vorgang, dem Marmor des U-Bahnhofs „an die Substanz zu gehen“, zu allererst als eine symbolische Geste zu verstehen. Es geht nicht um die Zerstörung der Substanz, sondern darum Bilder aus dem Marmor herauszuholen. Das Kunstwerk arbeitet also mit der Zuschreibung der Substanz der Steintafeln, als „Hitlers Marmor“ und fügt eine weitere symbolische Einschreibung hinzu: „Elser ging Hitler an die Substanz“. So ist das für jeden Besucher des Denkzeichens sofort lesbar.

3. Gesprächspartner

- Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz
Als verantwortliche Behörde für die Umbenennung eines U-Bahnhofs trägt sie die Hauptlast der Kosten für eine Umbenennung. Der problematische Name ‚Mohrenstraße’ wird in Zukunft aber ohnehin Kosten erzeugen.
Die Kosten für die Umbenennung eines U-Bahnhofs liegen bei ca. € 1Million und können nicht durch das Realisierungsbudget für den Wettbewerb abgebildet werden. Wie oben schon erwähnt, befindet sich der Bezirk, das Land Berlin und die BVG ohnehin seit Jahren in einem Problemfeld, das bisher ungelöst ist und auch in Zukunft weitere Aktionen und Initiativen erzeugen wird. Diese Diskussion nun zu führen und einen neuen, sinnvollen Vorschlag zu diskutieren, wird helfen, die bisherige Impasse aufzulösen, die ansonsten in Zukunft erhöhte Kosten in Form von Graffitientfernung, etc. erzeugen wird.

- BVG
Einschränkung des Betriebs während der Bauphase. Diese Kosten können nicht aus dem Wettbewerbsbudget bezahlt werden. Hier müssen Gespräche geführt werden, wie diese Kosten abgebildet werden können. Wenn man einen Förderverein gründet, könnte die BVG die Kosten „spenden“. Es lassen sich sicher institutionelle Konstruktionen finden, die helfen, die Lasten zu minimieren.

- Denkmalschutz
Dieser Entwurf stellt einen gravierenden Eingriff in das bisherige Erscheinungsbild des U-Bahnhofs Mohrenstraße dar und muss denkmalrechtlich genehmigt werden.
Kulturell gesehen erscheint es das höhere öffentliche Gut, an Georg Elser zu erinnern, als das Marmormaterial, das aus der ehemaligen Reichskanzlei stammen soll, zu schützen. Es müssen Gespräche geführt werden, die einen Konsens über diesen Vorschlag herbeiführen.

- Unterstützerverein
Sollte der öffentliche Meinungsbildungsprozess länger dauern, wird ein Förderverein gegründet, der die Umbenennung des U-Bahnhofs zum Ziel hat. Dieser Verein kann auch die Funktion haben, die Finanzierung des Projektes zu organisieren.

- Ablauf
In diesem Fall kann man zweistufig vorgehen. Sollte eine Umbenennung längere Zeit in Anspruch nehmen, kann der U-Bahnhof dennoch schon zum Denkzeichen umgestaltet werden. Im Interim sollen dazu über Schildern, die die Station an den beiden Eingängen benennen, Leuchtschilder angebracht werden, die auf das Georg-Elser-Denkzeichen hinweisen. Das kann später rückgebaut werden, wenn die Umbenennung erfolgt ist.

4. Der Mann und die Tat

Der Marmor soll umgedeutet werden und zum Bildträger werden für das Gedenken an den Mann Georg Elser und seine Tat. In der Mitte der Plattform befindet sich auf der Marmorwand jenseits der Gleise auf der nördlichen Seite ein großes Portrait Georg Elsers. Ihm gegenüber, auf der südlichen Wand befindet sich ein großes Bild seiner Tat – repräsentiert durch eine Fotografie der Zerstörung im Bürgerbräukeller nach der Explosion.

5. Einschreibung und Umdeutung

Die Bilder werden ‘subtraktiv’ erzeugt. Es wird also nichts hinzugefügt werden, um sie erscheinen zu lassen, sondern etwas weggenommen. Mittels Sandstrahltechnik werden die Bilder aus dem Marmor herausgefräst. Dieses Abtragen der Substanz läßt die Bedeutung des Menschen Georg Elser erst erscheinen. Auf einer metaphorischen Ebene wiederholt die Produktion der Bilder die nächtelange Arbeit Georg Elsers, in der er eine der Säulen im Bürgerbräukeller soweit ausgehöhlt hatte, dass er den Sprengstoff darin verstecken konnte.

6. Bildprogramm

Durch das partielle Abtragen wird das für authentisch gehaltene Material des Marmors umgedeutet. Die Bilder geben dem individuellen Widerstand Elsers (s)ein Gesicht. Dabei sollen die gegenüberliegenden Seiten zwei unterschiedlichen Sphären gewidmet sein:
Auf der nördlichen 110 Meter langen Marmorwand werden ausgewählte Fotografien aus dem privaten Umfeld von Georg Elser ein Bild des Menschen abgeben.
Auf der südlichen Wand befinden sich Abbildungen, die die Tat in ihrem politischen und gesellschaftlichen Kontext zeigen.
So wird exemplarisch gezeigt, dass Zivilcourage aus der Bedeutung des Einzelnen und seiner Entscheidungen besteht.

7. Einbinden des Betrachters

Bilder können Sprengstoff sein. Eine Sprengung ist eine expansive Bewegung von einem spezifischen Ort aus. Der Ort Georg Elsers ist der vor der Säule, wo er nächtelang kniete. Dieser Ort wird metaphorisch nachvollzogen als ein Fluchtpunkt auf der Mitte der Plattform zwischen Portrait und Tat. Von dort aus und auf diesen Ort hin werden alle weiteren Bilder, die in die Wände des Bahnhofs eingeschrieben werden, in einer anamorphotischen Projektion ausgerichtet. Dieser konstruierte Ort kann vom Betrachter eingenommen werden und so kann er in einer Art ästhetischem Nachvollzug eine persönliche Beziehung zu Georg Elser aufnehmen. Er stellt sich an den Ort, auf den alle Bilder zu Georg Elser fokussiert sind – ein Ort, der ihm die Frage zumutet: Wie würde ich handeln?

8. Abstraktion und Verständnis

Die anamorphotische Projektion hat zur Folge, dass Bilder, die in größerer Entfernung zum fokalen Standpunkt liegen, eine starke “Dehnung” und Abstrahierung erfahren, so dass sie von Standpunkten die in der Nähe der Ausgänge liegen, kaum noch erkannt werden können. (Sie sind ja auf den Fokuspunkt hin ausgerichtet.) Diese visuelle Abstraktion referiert auf die Notwendigkeit der Aneignung von historischem Wissen und Erinnerung durch den Einzelnen. In der Bewegung vollzieht als der Betrachter nach, was als historische Erinnerungsarbeit immer geleistet werden muss.

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