Thomas Eller

"... Jeder nach seiner Faßon..." - nicht realisert

2012

Ein Vorschlag für den Brandenburgischen Landtag in Potsdsam
von Thomas Eller und Füsun Türetken

Das Toleranzedikt vom 29. Oktober 1685, das vom Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg erlassen wurde legte den Grundstein für eine Entwicklung Preußens, die bis heute eine
im Prinzip weltoffene Haltung der Region Berlin-Brandenburg trägt. Die Einschränkung aber dieses Edikts auf nur eine religiöse Gemeinschaft, die Hugenotten, erscheint heute nicht umfassend
genug, um als öffentliche Aussage Raum für Integration zu stiften. Die Trennung von Staat und Kirche und die Toleranz ALLEN Glaubensgemeinschaften gegenüber findet sich viel umfassender
ausgedrückt in den wenigen Zeilen, die König Friedrich II. von Preußen 55 Jahre später handschriftlich an den Rand einer Eingabe schrieb, dass jeder „nach Seiner Faßon selich werden“solle.
Das Kunst-am-Bau-Projekt für den historisierenden Neubau des Brandenburgischen Landtags bezieht sich auf dieses berühmte Zitat. Im Zentrum des Projekts steht das Manuskript und zwar als
Dokument. Als Randnotiz verfasst, wurde es zur zentralen Aussage von weltanschaulicher Offenheit, um die wir auch heute noch kämpfen müssen. Das Handgeschriebene eröffnet darüber hinaus
eine menschliche Dimension. Die Tätigkeit des Schreibens erscheint als eine Handlung, die gleichzeitig als Handlung im politischen Raum zu verstehen ist. Freiheit mag allgemein verbürgt sein, in
der Handlung erst erweist sich, ob sie auch wirklich gelebt werden kann. Auch hier ist die handschriftliche Notiz wegweisend, indem sie als Adressanten den Einzelnen benennt, der nach „Seiner
Fasson Selich werden“ soll. Denn nur im aktuellen Austausch der Menschen untereinander erweist sich diese Freiheit.
Der vorliegende Projektvorschlag bezieht sich auch auf die als kontrovers betrachtete Tatsache einer Rekonstruktion des einstigen Stadtschlosses in Potsdam. Die Wahl der Quelle schöpft auch
aus der Geschichte Preußens, die formale Sprache, die das Kunstwerk im Kontext des Schlosses entwickelt, setzt es in Spannung zur eigenen Quelle und platziert die Frage nach der Religionsfreiheit
für den Einzelnen in einen Datenraum. Damit schließt es sich an die gegenwärtigen Kontroversen um die Freiheit des Einzelnen in einer Informationsgesellschaft an.
Folglich schlägt das Projekt eine zeitgemäße Übersetzung vor, die der Relationalität unserer Zeit entspricht und neue Konflikthorizonte, – die über die Fragen der Religionsfreiheit hinausgehen
– mit einbezieht. Unser Leben in einer digitalen Welt bringt neue Gefahren aber auch Möglichkeiten individueller Freiheit mit sich. Die Problematik der informationellen Selbstbestimmung erhält
dabei einen ähnlich bedeutenden Stellenwert wie die Frage der Religionsfreiheit. Auf allen Ebenen, von Infrastruktur über Forschung bis hin zur Produktion sind sämtliche Lebensbereiche von der
Digitalisierung durchdrungen. Durch die Verlegung der Bildinformation des „Faßon-Texts“ als digitalisiertes Mosaik auf dem Hauptzugangsweg zum Brandenburgischen Landtag erzeugt das
Kunstwerk diesen Assoziationsraum.
Dazu wird ein Scan des Original-Manuskripts in seine informationelle Kodierung zerlegt und erscheint als binärer Code von 01-Informationen. Diesem Code werden die Farben Rot und Weiß
zugeordnet, also die Farben des Landes Brandenburg. In Mosaiktechnik wird diese Information in den Weg zum Parlament eingeschrieben, von links oben beginnend nach rechts unten. Der
Code wird (wie im Rechenprozess des Computers auch) in logische Einheiten unterteilt werde, die quadratisch dargestellt werden. Vorbild ist die bit-Tiefe von Bild-Dateien, die in 8, 16 oder 32
bit-Tiefe dargestellt werden können. Für das Projekt werden wir auch mit dem Vielfachen dessen arbeiten. Vorstellbar ist, je nach Beschaffenheit des Untergrundes (siehe Tragwerk/Liberoplan),
eine Größe von 100 x 100 cm oder größere Formate, die die Bildinformation als Mosaik organisieren. Durch das Quadratraster erhöht sich auch der Eindruck organisierter Information auf dem
Mosaik.
Als Rechenexempel kann sich man 64 x 64 Mosaikpixel vorstellen, die im Quadrat gesetzt insgesamt insgesamt 4096 Informationspunkte ergeben und eine Kantenlänge von ca. 100 x 100 cm
hätten. Das Beispiel unten ist eine händisch ausgelesene Bilddatei, die die Datensequenz korrekt wiedergibt. Die bisherigen Tests haben ergeben, dass das Verhältnis von Nullen und Einsen im
Binärcode bei ca. 55 zu 45 liegt. Um den Eindruck von „rot“ zu erzeugen, wird die höhere Anzahl im Verhältnis von 0 zu 1 der Farbe Rot zugeordnet.
Somit entsteht aus dem binären Code ein rot-weißer „Teppich“, der von allen BürgerInnen, Abgeordneten und Staatsgästen gleichermaßen genutzt werden kann. Er ist sozusagen die Unterlage
auf der alle stehen und gehen, die am politischen Prozess beteiligt sind. Eingewoben in diese ist der freiheitliche Kern Preußens, der Text von Friedrich II., als DNA-Code des Landtages Brandenburg.
Es geht aber auch um die Qualität der ästhetischen Erfahrung, die der Betrachter beim Überschreiten der Mosaikfläche machen wird, denn ein „Teppich“ im Außenraum ist außergewöhnlich und
jeder, der ihn begeht, fühlt das unmittelbar. Man betritt etwas von Bedeutung und wird sich dessen bewusst. Diese Bewusstwerdung verändert den Gehenden und den Raum um ihn herum und ist
das Ziel dieses Kunstwerkes. Die Strenge des Informationsteppichs setzt sich dabei in eine produktive Spannung zur Architektur des Büro Kulka. Die Referenz auf den Text von Friedrich II. und
seine Übersetzung in zeitgenössische Form und Thematik, aktualisiert die Frage nach unserem Umgang mit Freiheit heute und bildet den formalen Gegenpol zur „wiederverwendeten Historie“ des
Neubaus des Brandenburger Landtages. Damit ist eine Spannung angelegt, die komplementär erscheint und produktiv wirkt. Sie wirft Fragen auf, die wir so einfach nicht beantworten können
werden.