THE Mosaik
Der Neubau des Johannes Wesling Klinikums in Minden ist auf der grünen Wiese entstanden. Neueste Medizintechnik ist nun an einem Ort, der vor kurzem noch landwirtschaftlich genutzt wurde. Natur und Technik – dieses Begriffspaar beschreibt aber nicht nur die örtliche Situation, sondern die gesamte Spannung in der sich Medizin heute befindet. Der Namensgeber des Klinikums, Johannes Wesling (1598 – 1649), steht als Wissenschaftler stellvertretend für eine
Epoche, die begann, was wir heute „empirische Methoden“ nennen würden, in die medizinische Forschung
einzuführen und er selber war einer der treibenden Kräfte dieser Zeit. Als Anatom einerseits und Pharmakologe
andererseits vereinte er in seiner Person beide Aspekte von Medizin. Der geborene Mindener wurde in der damals führenden Universität in Padua zum Begründer der vergleichenden Anatomie und führte als Pharmakologe außerdem einen Garten mit Heilpflanzen. Seitdem wurde Medizin immer technischer und immer abstrakter. Die heutigen
Behandlungsmethoden gehen bis auf die molekulare und atomare Ebene hinunter.
Der Künstler Thomas Eller greift diese Spannung mit seiner Wandarbeit für die Patientenmagistrale des Klinikums auf. Die Vorbilder für die vier Wandinseln sind Heilpflanzen die in vier Bereichen teilweise noch heute Verwendung finden. Am Anfang der Patientenmagistrale, nicht weit vom Eingang entfernt, befinden sich mit Ringelblume, Wundklee und Beinwell Pflanzen, die bei Hautreizungen oder aber auch Knochenbrüchen angewandt werden. Die zweite Wandinsel zeigt mit der Mariendistel und Schleifenblume Wirkstoffe, die sich auf die Leber und Verdauungsorgane auswirken. Die dritte Insel zeigt Herzmittel und die vierte schließlich mit Sonnenhut und Baldrian basiert auf Pflanzen, die das
Immunsystem und die Nervenbahnen beeinflussen.
Die Fotografien dieser Pflanzen wurden als Diapositive im Format 6 x 7 cm aufgenommen und danach digitalisiert. Im Computer wurden die zuerst hoch aufgelösten Bilder abstrahiert und so bearbeitet, dass sie sich in nur noch in einem extrem spitzen Winkel wahrnehmen lassen. In einem weiteren Prozess wurden die so entstandenen Bilder per
Computer in einzelne Rasterpunkte aufgelöst, die im fertigen Mosaik den einzelnen Glassteinen von 2 x 2 cm
entsprechen. Dabei entstand in einer Firma in Mexiko aus ca. 1 Million Mosaiksteinen eine 400 m2 große Wandarbeit, die von Mosaikspezialisten aus Italien vor Ort in Minden installiert wurde.
Das für die Bilder verwendete Prinzip der Verzerrung nennt man Anamorphose. Es wurde in der italienischen
Renaissance als Nebenprodukt der Zentralperspektive gefunden. Während sich die Zentralperspektive mit einer
berechenbaren, richtigen Darstellung des Bildraumes beschäftigte (die Fotokamera ist bis heute die wichtigste
Erfindung aus dieser Zeit), geht es bei der Anamorphose um den richtigen Standort um eine verzerrte Welt zu
erkennen. Wie viele andere Bereiche des menschlichen Lebens hat auch die Medizin eine immer stärkere Abstraktion erfahren. Das Interessante an Medizin ist jedoch die erschütternde Nähe von Abstraktion und Konkretion. Die abstraktesten Findungen medizinischer Forschungen,
können im Klinikalltag den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten. Als Wissenschaft und Praxis hat Medizin mit dem jeweiligen
Einzelnen als Mensch zu tun. Das Mosaik von Thomas Eller verleiht dieser Zuspitzung von Konkretion und Abstraktion bildnerischen Ausdruck, indem es Bilder von Heilpflanzen als anamorphes Mosaik über fast die gesamte Länge der Patientenmagistrale präsentiert. Die Besonderheit einer Anamorphose ist, dass das Bild von jedem Standort aus anders aussieht und nur an einem besonderen Punkt (der auch außerhalb des Gebäudes liegen kann) „richtig“ erscheint. Eine Anamorphose schickt den Betrachter also auf die Reise die verschiedene Perspektiven zu erkunden. Dadurch bezieht sie sich direkt auf die Position des einzelnen Menschen. Die Wahl der Heilpflanzen als Bildmotiv bezieht sich einerseits auf Johannes Wesling als Pharmakologen und verspannt so das Innen der Patientenmagistrale mit dem Arboretum im Süden der Klinik. Es ist darüber hinaus als visuelle Klammer zwischen dem Inneren des Krankenhauses und der umgebenden Natur
verständlich. Die anamorphe Projektion der Bilder und die Aufrasterung in einzelne Mosaiksteinchen am Computer sind digitale
Bildtechniken und technische Abstraktionen, die man sich analog zur Entwicklung der Medizintechnik vorstellen kann. Durch die in Verkürzung wahrgenommenen Pflanzen verändert sich der Tiefeneindruck der Architektur radikal. Die teilweise über mehrere Wandsegmente ver teilten Bildmotive lassen den Raum viel kürzer erscheinen und verklammern so die Magistrale von vorne bis hinten und lassen sie als Einheit erscheinen. Selbst die größeren Durchgänge erscheinen in der Verkürzungen nur als kleine Bildunterbrechungen. Bewegt sich der Betrachter auf der Magistrale ‘animiert’ er durch seine veränderten Betrachterstandorte, die Erscheinung der Bildelemente und erfährt ihre ‘Abstraktion’.
www.thomaseller.com/THEmosaicBOOKnet.pdf