Achim Zeman

liquid

2010

liquid
Portikus, Neonhalle - Zeitgenössische Kunst, Bochum, 2010



Böse Falle - Wer die Tür der Neonhalle, eines ehemaligen Toilettenhäuschens am Bergbaumuseum in Bochum hinter sich schließt, dem mag es ergehen wie Alice im Wunderland. Aus lauter Langeweile war sie gedankenlos dem seltsam anmutenden, sprechenden Kaninchen mit der Taschenuhr in den tiefen Bau gefolgt und hatte sich durch eine kleine Tür geschrumpft, um sich verwundert in einer anderen Realität wiederzufinden.

Kaum hat der Besucher die Tür des kleinen Häuschens hinter sich geschlossen, umschwirren ihn unzählige Strudel. Sie bestehen aus einer unendlichen Anzahl unterschiedlich großer, amöbenhafter Kleckse. Blau ziehen sie durch den Raum über Boden und Wände hinweg. Bis über Augenhöhe umkreisen sie den Betrachter und scheinen sich im Boden zu bilden. Oder entstehen sie doch irgendwo über ihm, um sich dann unter seinen Füßen zu einem Sog zu verdichten, der auch ihn gleich mit in die Tiefe zieht? Bedrohlich dicht umgibt ihn das seltsame Geschehen. Eine Orientierung fällt ihm schwer. Die Installation LIQUID von Achim Zeman stellt den Betrachter gleich vor mehrere Probleme. Was passiert hier um ihn und mit ihm? Die ihn umfliegenden blauen Spritzer erinnern an Wasser. Aber steigt es um ihn herum an oder fällt der Wasserspiegel? Als immanenter Teil der Installation kann sich der Betrachter weder horizontal, noch vertikal verorten. Zwar steht er auf einem Boden, aber ist das noch das Bodenniveau, auf dem er das Häuschen betreten hat? Oder befindet er sich auf dem Grund eines Wasserbeckens, das gerade geflutet wird? Der Wasserspiegel scheint über ihm zu liegen. Oder wohnt er nur einem freudigen Befreiungstanz des jahrzehntelang in geordnete Bahnen gezwängten Wassers bei? Und dreht sich eigentlich der Raum oder dreht sich der Besucher oder drehen sich gar beide?

Das ehemalige Toilettenhäuschen entstand zusammen mit der benachbarten Eisenbahnbrücke 1912 als Ergebnis eines städtebaulichen Architekturwettbewerbs. Mit einer von schweren Natursteinsäulen getragenen Arkadenhalle erinnert es an historische Zollhäuschen oder Stadttore. Das stille Örtchen wurde nicht versteckt, sondern repräsentativ in den Vordergrund gerückt. Bis 1993 blieb es in Gebrauch, heute sind die Sanitäranlagen und alle Trennwände entfernt, der Raum befindet sich in einem Zwischenstadium. Neben den durch den Umbau entstandenen grob behauenen Mauerkanten und einem neuen Bodenbelag finden sich auch noch bislang unveränderte Spuren der damaligen Nutzung. Überall zeugen Wasserzu- und abläufe von der früheren Funktion und die datierten Toilettengraffiti lassen nur erahnen, wie viele Nachrichten und Kommentare noch unter den vielen Anstrichen verborgen liegen.

Augenzwinkernd nimmt Zeman in seiner Installation LIQUID den vorgegebenen Ort und seine so vielfältigen Spuren auf und erschafft mit seiner malerischen Arbeit einen völlig neuen Raum. Ausgehend von den Wasseranschlüssen nehmen die Strudel ihren Weg durch den Raum, zwängen sich um Ecken und Mauerkanten. Über 4000 Folienkleckse füllen den Raum. Gleich einer Haut schmiegen sie sich mal eng in die Ritzen des grob behauenen Mauerwerks, ein andermal legen sie sich auf die glatte Fläche des neu gegossenen Bodens und betonen die durch die Interimssituation entstandene strukturelle Unterschiedlichkeit. Die reflektierende leuchtend blaue Oberfläche der Folie weckt die Assoziation an Wasserspritzer und verstärkt die scheinbare Bewegung. Die Form der einzelnen Kleckse erinnert an Comicsprechblasen und verweist auf die noch erhaltenen Graffiti an den Wänden.

LIQUID verwickelt den Besucher in ein ambivalentes Spannungsfeld zwischen Bedrohung und lustvollem Spiel. Irritiert und orientierungslos bleibt der Betrachter mit seinen Ungewissheiten zurück. Unversehens war er wie Alice in eine ihm fremde Welt geraten, die ihn durch ihre spielerische Verunsicherung daran erinnert, wie schnell unsere grundlegenden Gewissheiten, unsere so selbstverständlich angenommene Wahrnehmung von Realität erschüttert werden können. Wer weiss, ob er so einfach durch die Tür in seine gewohnte Welt zurück kann oder ob sich dahinter nicht eine weitere, bislang unbekannte Realität eröffnet.

Ursula Wiegand