Achim Zeman

Leichtsinn

2008

Leichtsinn
Galerie Bernd A. Lausberg, Düsseldorf, 2008
Über den Leichtsinn

Wenn man Räume betritt – und seien sie nur gedanklicher Natur – so verändern sich gleichermaßen die inneren wie die äußeren Haltungen, die die Räume selbst ausstrahlen oder auch geradezu provozieren, die ihrerseits im gleichen Maße dazu eine innere Veränderung im Menschen evozieren. Manchmal eher unmerklich, mitunter hingegen wuchtig, gewaltig, selbstbewusst einnehmend und lautstark. Räume haben in der Menschheitsgeschichte und in der Philosophie insbesondere immer schon eine tragende Rolle gespielt und werden zum Maßstab dessen angesetzt, was eine Gesellschaft zu leisten vermag. Räume spiegeln die Seele des Menschen, ihr Klein-Sein und ihr Groß-Sein. Sie zeigen auf, was verwinkelt und niedrig, was andererseits auch groß und erhaben sein kann. Dies konnte man immer schon an den großen Kathedralen und Schlossbauten ablesen, an ihrem Verhältnis von Stein gewordener Architektur und deren – partieller - Aufhebung durch Licht in den prachvollen Glasfenstern. Man erinnere sich nur an die gotischen Kathedralen mit ihrem Streben zum Lichte Gottes (und damit ihrer Auslösung der Mauerflächen zugunsten großer bunter Fenster) oder an die barocke Baukunst, die sich in mehreren Raumschalen (analog zur Monadentheorie von Georg Wilhelm Leibniz) gleichsam als Abbild des Universums gespiegelt sehen wollten. Vor allem politische Bauten und Repräsentationsräume dokumentieren anschaulich, was in den vergangenen Jahrhunderten und vor allem im 20. und 21. Jahrhundert als überzeugend zu gelten hat. Aber selbst bescheidener dimensionierte Räume und Plätze können jene Kraft entfalten, die im Großen wie im Kleinen gültig eine Sprache der Form und der Kommunikation entwickelt und die ihrerseits ebenso nachhaltig die Veränderungen im Betrachter hervorrufen und auslösen.

Wendet man sich in diesem Zusammenhang den Raumarbeiten von Achim Zeman zu, so wird sehr rasch deutlich, dass alle seine Interventionen auf nichts Anderes zielen als auf die radikale Veränderung eines Raumes, der sich durch – vielleicht schon zu lange erfolgtes Sehen – beim Betrachter als gegeben eingebrannt und dessen Langeweile mitunter nicht zu übersehen ist. Dies können zuweilen sogar eher problematische Architekturen sein (wie Treppenhäuser, alte Aussenfassaden etc.), denen man den Kuss aus dem Dornröschenschlaf gar nicht mehr zutraut. Aber Achim Zemans Interventionen sind im Bezug auf all diese Räume und vorgefundenen Gegebenheiten ebenso radikal wie auch sensibel. Sie liefern auf den Punkt – besser gesagt – auf den Strich genau jenen Grad an Irritation, der aus dem Alltäglichen und Gewöhnlichen das Besondere und Einmalige hervorstreicht. Fasst könnte man meinen, die Interventionen seien von leichter Hand entstanden, bestehen sie doch zumeist aus einer exakt bemessenen Lineatur, die sich bis zur Unendlichkeit hinfort deklinieren lässt. Aber so leicht ist es dann doch auch wieder nicht. Achim Zemans Raumkonzepte liefern gleich mehrere Dimensionen vom Raum, wobei sicherlich die Tatsache, dass er den vorgefundenen Raum „verfremdet“ und nicht vollkommen „verändert“ sein besonderer künstlerischer Verdienst ist. Dadurch bleibt die Grundstruktur, das Substanzielle des ursprünglichen Raumes, auch in seiner temporären Verfremdung deutlich, und zugleich bewirkt diese „VerFremdung“ ein neues Wahrnehmen, ein GeWahrwerden von Strukturen und Zusammenhängen, die in ihrer Transparenz durch die sie überlagernde Arbeit von Achim Zeman deutlich zutage tritt. Dies lässt sich ausmachen an all jenen Interventionen, in denen Achim Zeman sich auf die zumeist zarte Lineatur horizontaler oder vertikaler Streifen konzentriert, die in einem scheinbar losen Miteinander im Parallelduktus angeordnet sind, um sich dann zu einem Muster zu verdichten. Die Sequenzierung der Streifen jedoch erlaubt es dem Betrachter, immer auch die zugrunde liegende Fläche (den Boden, die Wand, das Fenster) noch zu registrieren. Dadurch werden ganz maßgeblich alle Strukturen des Raumes nicht nur seitens des Künstlers wahrgenommen, sondern auch aktiv genutzt und damit auch keine künstliche Homogenität (beispielsweise der Untergrundfarben) erzeugt. Nur so können bei Raumkonzepte wie „Sehfest“ im Rheinischen Landesmuseum Bonn 2008 oder „Grünstreifen“ im Neuen Kunstforum Köln 2007 die Räume selbst in Irritation versetzt werden. Die farbigen Streifen bilden den optischen Belagerungszustand, der seinerseits provoziert und zugleich eine visuelle wie auch metaphysische Schönheit zutage bringt, die es zuvor nicht dort gab.

In „Leichtsinn“ wendet Achim Zeman ein neues Verfahren an, das eher noch an seine älteren Konzepte erinnern lässt und das seinerseits nun auch nochmals anders mit den vorgefundenen Gegebenheiten des Raumes operiert. Das Ergebnis ist dann auch ein anderes, ein weitaus radikaleres. Im Gegensatz zu seinen sonstigen „Streifenmustern“ wendet Zeman nun einen Linienfluß an, der sich über die gesamte Fläche der Wände erstreckt und in dessen Fließen es keinen Anfang und kein Ende zu geben scheint. Panta rhei, wie es Heraklit angeblich einst formulierte. „Alles bewegt sich fort und nichts bleibt.“ Heraklit bezog diesen Spruch auf das Sein schlechthin und verstärkte darin seine Auffassung, dass das Sein mit einem Fluss zu vergleichen sei, indem er sagte, niemand könne zweimal in denselben Fluss steigen. Die Formel panta rhei stellt demnach eine Verkürzung und zugleich eine Interpretation der Äußerungen Heraklits dar. Wenn man sich die Arbeit von Achim Zeman in der Galerie Lausberg nicht nur anschaut, sondern sich ihr auch physisch und psychisch aussetzt, indem man in den Raum hineingeht und in ihm verweilt, dann tritt sehr bald eine Veränderung auf Seiten des Betrachters ein, der nicht anders kann, als sich immer und immer wieder in diesen Kreislauf von Werden und Vergehen zu begeben, sich diesem An- und Abschwellen der Linien auszusetzen und zugleich im beginnenden Schwirren und Flirren der einen einzigen Farbe (allerdings im Kontrast zu dem Weiß der Wand) dieses Ausgeliefertsein zu erspüren. Der ganze Raum ist in eine Schwingung versetzt, die trotz der Leichtigkeit der grüngelben Farbe, diesem fast Lindgrün des Frühlings (mit einer leicht giftigen Unternote), nichts an Sanftheit gelten lässt. Vielmehr gerät der Betrachter in einen unentrinnbaren Strom der Drehungen und Wendungen, des Sehen-Müssens, das unausweichlich geworden ist. Und dieses Erleben vollzieht sich beständig neu, ein Entziehen aus diesem durch den Linienstrom in beständiger Unruhe gehaltenen Raum ist schlichterdings unmöglich. So gilt auch hier – im übertragenen Sinne – der von Heraklit überlieferte Spruch: „Wer in denselben Fluss steigt, dem fließt anderes und wieder anderes Wasser zu.“

„Leichtsinn“ bezieht sich hier auf eine neue Form im Œuvre von Achim Zeman und bildet in gewisser Weise eine Zäsur. Waren es in „Grünstreifen“, in „Sehfest“ oder auch in „Seestück“ immer wieder die schmalen Streifen, mal in farblicher Abtönung zwischen Hell- und Mittelblau oder – wie bei „Nah und Fern – Zerstreut“ (Villa Zanders, 2006) vor allem auch als Verdichten und Auflösen dieser Streifen bis hin zur (beinahen) Homogenität der Farbflächen (fast ganz Rot oder fast ganz Weiß), so hat der Raum „Leichtsinn“ nun eine andere, beinahe spielerische, eher wohl trügerische, Leichtigkeit gewonnen. Im Gegensatz zu den zuvor realisierten Projekten erscheint die Gravitationskraft hier fast aufgehoben. Alles schwingt an den Wänden und bringen diese in ein Pulsieren, in eine Vibration, die wie ein atmendes Organ diesen Innenraum belebt. Dieses Leben greift über, bemächtigt sich des Betrachters, der zu einem Mitagierenden wird, zu einem Komplizen, der das Sein dieses Leichtsinns aufnimmt. Diese Perzeption der Seele und des Intellekts hat ihren Ursprung im Kunstwerk, in der scheinbar so einfachen Rezeption von Linien an der Wand, die über Ecken hinweg sich dehnen und zusammenziehen. Aus tausenden von Einzelteilen (geschnittener Folien) wird ein Ganzes, die „prima materia“ wie es in der Monadentheorie bei Leibniz noch hieß, das nur in seiner Gesamtheit zu diesem Erlebnisaustausch (Raum – Individuum) führen kann. Erst in der Reflektion und in der psychischen Aufnahme des Gesehenen, dem sich Hingeben an dieses Zirkulieren im Raum und mit dem Raum, überführt die „prima materia“ in ein Gesamtkonzept von Raum, Zeit und dem temporären Verlust jeglicher Dimensionen.
Wer in diesen Raum hineingeht, kommt als ein Anderer wieder heraus, bleibt – im besten Falle aber – mental in diesem Farbstrom verhaftet, dessen elektrisierende Kraft sich unweigerlich, unauslöschlich einprägt.

Beate Reifenscheid