Achim Zeman

Kreislauf

2002

Kreislauf
Eisstadion, Köln 2002

Würden wir die Welt erleben, wie sie 'an sich' ist, dann hätten wir nichts als Rauschen.
N. Bolz

Das 'Rauschen der Welt', die auf den Menschen einströmende unendliche Menge von Eindrücken wird von ihm nicht als Fülle erfahren, sondern als ihn bedrohende sinnlose Leere. Erst mit der Gestaltung der Welt durch Strukturen, Muster und Rituale erschließt sich dem Menschen die Möglichkeit einer Deutung, eines scheinbaren Sinns. Der Mensch hat im Laufe seiner Kulturgeschichte eine Reihe differenzierter Ordnungssysteme entwickelt, die ihn mit Hilfe u.a. visueller Codierungen durch die Welt leiten und ihm aufgrund ihrer kulturellen Akzeptanz die Möglichkeit der Orientierung geben.

Der Tanz, elementare Lebensäußerung des Menschen, hat vor allem im Bereich des bildhaften Tanzes eine Reihe präzise festgelegter, rhythmisch strukturierter Bewegungsabläufe entwickelt. Dies schließt die Ritualtänze primitiver Volksstämme ebenso ein wie den modernen Gesellschafts- und Turniertanz. Beim Eistanz sind die Figuren und Schritte der Pflichttänze, dem sogenannten „Spurbild“, durch international geltendes Reglement festgelegt. In den Lehrbüchern werden diese standardisierten Bewegungsabläufe graphisch durch sich aneinander reihende Striche und Bögen skizziert, die jeweils eine Schritt- bzw. Gleitlänge markieren. Die Skizzen sind Leit- und Orientierungssysteme für jene, die den Tanz lernen wollen. Zugleich stellen sie ein bildnerisches Ordnungsgefüge dar, das Bild des Tanzes, das der Tänzer mit seinen Kufen in das Eis malt.

Die von Achim Zeman für das Kölner Eisstadion entwickelte Arbeit 'Kreislauf' ist ein Spiel mit der Schnittstelle zwischen technischer Anweisung und Ästhetik, die sich in dem Übergang eines Ordnungs- und Leitsystems in ein malerisches Bildgefüge verkörpert. Zwischen den Eisschichten hat der Künstler in verschiedenen Farben sechs heute relevante Eisstandardtänze ins Eis gemalt. Dabei verwendet er die Maltechnik, mit der auch Spielmarkierungen z.B. für Eishockey im Eis fixiert werden.

'Kreislauf' führt zwei grundlegende Felder der künstlerischen Arbeit von Achim Zeman zusammen. Zum einen die aus der Beschäftigung mit dem Tafelbild entwickelte Frage nach der Schichtung verschiedener Farbebenen, zum anderen die in den Rauminstallationen geführte Auseinandersetzung mit Ordnungssystemen. Aus einem übergeordneten Blick erscheinen sie als hilfreiche Leitsysteme, als Teilnehmer verkehrt sich ihre Wirkung schnell in die eines Irrgartens. Die für das Kölner Eisstadion entwickelte Arbeit 'Kreislauf' verbindet diese beiden Aspekte, indem sie das Tafelbild in eine raumbezogene Installation überführt.

Ein Eisstadion ist für diese Verschränkung aus Malerei und Installation ein Ort, der die Möglichkeit eines außenstehenden Standpunktes weitgehend ausschließt. Will der Besucher die Arbeit nicht nur aus der Distanz betrachten, ist er gezwungen, sich auf die Eisfläche, das Bild zu begeben und steckt schon unausweichlich in der Installation selbst, von der er immer nur Teile, aber nie das Ganze erfassen kann. Auf Schlittschuhen macht er sich gleitend auf die Suche nach den im Eis versiegelten Spuren, rhythmisch wiederkehrenden Modulen, Bausteinen und Figuren, die ihm immer ähnlich erscheinen, aber nie identisch sind. Die ursprünglichen Leitsysteme verkehren sich in ihrer additiven Überlagerung im Eis zur Irritation. Wie auf einem komplizierten Schnittmusterbogen verliert der Betrachter immer wieder seinen Pfad und muß von neuem mit der Suche beginnen. Bei seinem Versuch, durch ein Nach-Fahren der Formen das Ordnungsprinzip zu erkennen, zerstört er mit seinen Schlittschuhen langsam die einzelnen Eisschichten und löst so die von ihm gesuchten Leitsysteme auf.

Ursula Wiegand