Renate Herter

Es waren Nachbarn, es sind Menschen

Berlin 2020 (Realisierung)
Raum-Klang-Installation, permanent 
1. Preis im Wettbewerb (2019) für einen Gedenkort in der Gedenkstätte „Köpenicker Blutwoche“

Der Ort:
Ein Teilgebäude des ehemaligen Amtsgerichtsgefängnisses Köpenick wurde bereits 1980 (noch in der DDR) zur Gedenkstätte umgewandelt, welche über die frühen Gewaltverbrechen der Nationalsozialisten vom Juni 1933 in Form einer Dauerausstellung informierte und erinnerte. 
Köpenick war in den frühen 1930er Jahren vor allem ein Arbeiterbezirk; Solidarität und Nachbarschaftshilfe wurde groß geschrieben, viele Menschen waren gewerkschaftlich oder in sozialistischen Parteien organisiert, sie kannten sich aus der Reihenhaussiedlung und den Laubenkolonien. Dennoch sahen Nachbarn bei den gewalttätigen Übergriffen von SA und SS weg oder waren sogar selbst daran beteiligt.

Problematik:
Für die Dauerausstellung wurde über viele Jahre eine adäquate Form zur historischen Einordnung und angemessenen Darstellung der Geschehnisse gesucht und deren Inhalte zuletzt im Jahr 2013 in einer betont sachlichen informativen Form modifiziert. Alle Räume der Ausstellung sind seither dicht mit historischem Material als Text- und Bildtafel-Reihungen bestückt.
Einen sinnlichen Eindruck der ehemaligen Geschichte und Funktion des Hauses vermittelt im Inneren des Gebäudetraktes der lange Gang mit schweren grauen Metalltüren zu den ehemaligen Zellen. Doch auch die dahinter liegenden Zellenkammern wurden ebenfalls mit großen Texttafeln – wie in den übrigen Ausstellungsräumen – versehen. Semi-authentisches Zellen-Inventar sowie die Materialfülle der Texte überlagern die sinnlichen Erfahrungen.

Künstlerische Konsequenz für die Installation im letzten Zellenraum:
Produktive Leere herstellen, Blick auf die Mauern und das Gitterfenster richten,
inhaltliche Verbindung zur Metalltür und zum Gang herstellen, minimale Eingriffe, die etwas von der Geschichte des Hauses freisetzen. Das Gedächtnis der Mauern befragen, sie öffnen. Durch Textfragmente Verbindung zur gesamten Ausstellung herstellen. Die Opfer-Perspektive stärker einbringen. Eindrücke offen halten, Fragen aufwerfen, neue Erfahrungen für die Besucher/innen entstehen lassen, die es ermöglichen, die Vergangenheit nicht als etwas Abgeschlossenes zu verstehen.

Realisierung:
Entkernung des Raumes, Entfernung aller überformenden nachträglichen Bauteile sowie des großen Heizkörpers. In die Wände des Zellenraumes eingreifen als eine die Schichten der Vergangenheit öffnende Bewegung, als einen in die Gegenwart einfließenden Klang.

Klang: 

In kurzen Abständen sind raumfüllende, dabei sparsam minimalistische Atemklänge zu hören, die sich sowohl in der Lautstärke als auch in Tonalität und Klangfülle subtil verändern, in Bewegung bleiben. Diese Atemklänge dringen aus den Mauern. 

Text: 

In die Wände auf beiden Längsseiten des Raumes wurde eine Abfolge von dicht ineinander verschränkten Worten in Sgraffito-Technik eingeritzt. Weiß in Weiß Zeilen, die sich je nach Lichteinfall verändern und durch die vertiefenden Schattenbildungen erst erkennbar und deutbar werden. Sie zeigen Begriffe von negativ und positiv besetztem Handeln, ein Pro und Contra, das die Besucher/innen herausfordert, eine eigene Position einzunehmen. 

Fotografien: © Renate Herter