Christin Kaiser

Künftige Ruinen

2021

Die antike Thermenanlage Caracalla in Rom bildet den Ausgangspunkt für Christin Kaisers Skulptur Center Arc. Ein Fragment der Ruine, ein Stück Mauer mit Rundbogen, hat die Künstlerin in Form einer Steppdecke ins Textile übertragen. In der Arbeit verschmelzen Überlegungen zu Modernisierungsmaßnahmen (Stichwort: Wärmedämmung) und der Architekturtheorie von Gottfried Semper, der die Hülle, also das Äußere eines Gebäudes, als dessen ‚Bekleidung‘ begriff. Die Caracalla Therme, 216 n. Chr. eröffnet, war eine der größten, die im römischen Reich erbaut wurden. In ihren gigantischen Hallen waren neben dem Badebetrieb auch Theater, Frisöre, Sportanlagen und Bibliotheken untergebracht und es fanden mehrere tausend Badegäste gleichzeitig darin Platz. Die Therme, die allen Bürger*innen kostenfrei zugänglich war, wurde so zum Dreh- und Angelpunkt des öffentlichen Lebens – eine prunkvoll ausstaffierte Wellness-Architektur fürs Volk.
Der Titel der Arbeit verweist zugleich auf die niederländische Ferienparkkette Center Parcs, die seit den 1950er Jahren Familienurlaub in tropischen Badeparadiesen „nicht weit von Zuhause“ verspricht.

Ein weiteres Element antiker Baukunst ist in der Arbeit Dorischer Ärmel aufgegriffen, die eine Säule dorischer Ordnung (wie man sie beispielsweise aus griechischen Tempelanlagen kennt) mit einem Ärmel verbindet. Der Ärmel, als Element von Kleidung bzw. der „zweiten Haut“ des Menschen, behält in seiner enormen Vergrößerung dennoch seine charakteristische Form bei und widersetzt sich so den strengen symmetrischen Regeln des Säulenbaus. Die Verwendung von wattiertem Stoff unterstreicht diese Umkehrgeste noch zusätzlich. Die Säule wird zum soften Schlauch und von der Architektur bleibt nur die Hülle, die, ähnlich zu einer Daunenjacke, ohne Träger*in fluffig in sich zusammenfällt.

Analog zur Gebäudehaut rückt in der Serie Baumwall die Rinde von Bäumen ins Blickfeld, die im Vordergrund der Schwarz-Weiß-Fotografien zu einer beinah ornamenthaften Struktur verunschärft ist. Dahinter, zwar fokussiert jedoch weitestgehend verdeckt, lassen sich Fragmente von Architektur erkennen. Es handelt sich zum einen um das Haus der Kunst in München und zum anderen um zwei Wohnhäuser des Architekten Hans Scharoun in Berlin-Friedrichshain. Beide Gebäude, so unterschiedlich sie auch sein mögen, wurden von Folgegenerationen als so ‚problematisch‘ eingestuft, dass man sich dafür entschied, sie durch das Pflanzen einer Baumreihe zu verstecken. Die modernistische Architektur von Scharouns Laubenganghäusern (1949-51) war mit den „16 Grundsätzen des Städtebaus“,
den sozialistischen Vorstellungen von Bauästhetik, nicht vereinbar. Im Falle vom Haus der Kunst (1933-37), als Paradebeispiel für monumentale NS-Architektur unter persönlicher Beteiligung Adolf Hitlers in München erbaut, versuchte man in den 1970er Jahren dessen Präsenz durch die Anpflanzung einer Reihe Linden vor der Hauptfassade abzumildern.
Beide Beispiele verdeutlichen die ideologische bzw. politische Dimension, die Architektur haben kann, und wie sich nachfolgende Generationen dazu positionieren. Gleichzeitig stehen sie exemplarisch für den Umgang mit architektonischem und städtebaulichem Erbe, wie er auch aktuell vielfach diskutiert wird.

Text: Katharina Wendler

Ausstellungsansicht mit den Arbeiten "Center Arc" und "Dorischer Ärmel"

Blick in den zweiten Ausstellungsraum mit "Baumwall" (Fotoserie)

Blaue Rückseite von "Center Arc" und zwei Bilder der Serie "Baumwall"