Marie Luise Birkholz

Erinnerungszeichen für die jüdischen Frauen im KZ Ravensbrück – ein Pult

2018

Erinnern, Gedenken, Würde. Ein Ort soll geschaffen werden, um in aufrechter Haltung, mit Liedern und Worten dauerhaft zu gedenken. Dieser Ort entsteht um ein funktionales und gleichzeitig skulpturales Objekt: um ein lang gestrecktes Pult – ein Pult für mehrere Menschen. Dem Entsetzen und der bodenlosen Sprachlosigkeit angesichts der Shoah möchte ich eine Möglichkeit des Gedenkens geben und schlage dafür diese konzeptuell angelegte, skulpturale Form vor. Es greift formal Momente des ehemaligen auch jüdischen „Alltags“ im Konzentrationslager Ravensbrück auf und bezieht sich gleichzeitig auf seine heutige Umgebung, die Gedenkstätte.

Dieses Pult ist räumlich gedacht. Das Pult ist am Siemensweg ausgerichtet und greift somit auf, dass Jüdinnen mit seinem Standort „alltäglich“ verbunden gewesen sind. Es verbindet in seiner lang gestreckten Form das Lager, die bereits bestehenden Gedenkzeichen an der Lagermauer, den Schwedtsee und die Stadt Fürstenberg samt Kirchenturm. Das Pult folgt somit den Blicken auf die Stadt Fürstenberg, welchen die Zwangsarbeiterinnen auf ihrem Arbeitsweg zu Siemens an dieser Stelle womöglich erhaschen konnten. Diesem individuellen Blick Richtung Alltag wird somit eine Form gegeben, die auf die Ferne dieser beiden Orte – Lager und die Stadt Fürstenberg – verweist. Die Position des Pultes ist so gewählt, dass sich vor und um ihm ein neuer Raum eröffnet und zum Erinnern und Gedenken nutzbar wird.

Das Pult greift mit seiner horizontalen Ausdehnung die Lagermauer, die Einfassung des Massengrabes mit dem Rosenbeet und die Einfassung des DDR-Gedenkortes auf. Es verbindet somit die verschiedenen historischen Ebenen (NS-Lagermauer, DDR-Gedenken, zeitgenössische Überformungen) des Gedenkareals. Entgegen den Schornsteinen der Gaskammer und entgegen senkrechter (phallischer) Symbolik bleibt das Pult konsequent in der Waagerechten. Es erhebt sich nicht, doch es kreiert seinen eigenen Raum.

Das Steh-, Lese-, Rede- oder Gesangspult ruft wie ein Instrument vielmehr eine aufrechte Körperhaltung und eine Blickrichtung hervor. Es ermöglicht Klänge und Worte. Entgegen der Opfergruppe der Jüdinnen zur NS-Zeit besitzt dieses Pult heute somit eine Stimme, die gehört werden kann. Auch Gedenksteine, Nachrichten und andere Gedenkobjekte können auf ihm abgelegt werden und liegen bleiben. Die Präsentationsfläche des Pultes trägt gleichermaßen Gedenksteine und Notenblätter.

Die natürliche Materialität des Pultes bezieht sich auf die jüdische Gedenkkultur. Das Pult ist gedacht, um mit ihm der Toten zu gedenken – es setzt in seiner Massivität auf extreme Dauerhaftigkeit. Gleichzeitig wird das Pult über die Jahre altern und hierbei durch seine Nutzer*innen geformt.

Das Pult referiert auf das Judentum als Religion des „Buches“. Es bezieht sich bewusst und gleichzeitig sehr frei auf Rachel Withereads Memorial in Wien oder auf das Berliner Denkmal für die ermordeten Juden von Peter Eisenman. Die Idee des Pultes entsteht gleichermaßen auf Grundlage der ersten jüdischen Gedenkveranstaltung in Ravensbrück – während der gesungen wurde. Das Pult greift jüdisches Selbstverständnis auf, in seiner Formsprache bleibt es jedoch gleichzeitig offen. Es greift somit die Heterogenität dieser Opfergruppe auf, die aus nationalsozialistischer Willkür heraus entstand.