07.02.2024 | TAZ: „Ohne Ateliers gibt es keine Kunst“ - Interview mit den Atelierbeauftragten für Berlin

06.02.2024 | TAZ, Andreas Hergeht: "taz: Herr Schwegmann, Ihre Amtszeit als Atelierbeauftragter ist im Dezember 2023 zu Ende gegangen. Wenn Sie zurückblicken: Wie hat sich die Lage der bildenden Künst­le­r:in­nen in Berlin verändert? Verbessert hat sie sich sicherlich nicht, oder?

Martin Schwegmann: Die Lage der Künst­le­r:in­nen ­hat sich nicht verbessert. Corona, Inflation, Krieg und Energiekrise, explodierende Baupreise, all das hat auch die Kunst getroffen. Aus den erhobenen Basisdaten für 2023 wissen wir, dass 63 Prozent der Berliner bildenden Künst­le­r:in­nen derzeit kein Atelier haben, gerade dabei sind, es zu verlieren oder eins zu suchen.

Was heißt das genau, wie groß ist also der Bedarf?
In Berlin arbeiten rund 10.000 bildende Künstler:innen. Wir gehen von einem realistischen Bedarf von rund 3.000 Ateliers aus.

Die Situation ist also nach wie vor prekär. [Auszug...]

Zum Schutz vor willkürlichen Bauplänen der Eigentümer sollen die Uferhallen zudem als „Sondergebiet Kultur“ ausgewiesen werden. [Auszug...]

Julia Brodauf: Bislang handelt es sich beim Begriff Sondergebiet Kultur lediglich um eine Absichtserklärung des Bezirks, eine Diskussionsgrundlage für die Definition eines solchen Gebiets im Bebauungsplan, das zukünftig ausgewiesen werden kann. Uns interessieren diese Fragen aus Sicht der Künst­le­r:in­nen sehr: Wer macht im Arbeitsalltag welchen Lärm und Schmutz, wie hoch ist der Publikumsverkehr. Da gibt es sehr unterschiedliche Bedürfnisse, wenn in einem Kulturort gearbeitet und auch gewohnt wird. Die Diskussionen werden spannend. [Auszug...]

Öffentliche Mittel werden knapper. [Auszug...]

Schwegmann: Wir haben in Publikationen wie dem „Weißbuch Atelierförderung“ Instrumente vorgeschlagen, wie das aussehen könnte, ja, wie das aussehen muss, und sind eigentlich an vielen Punkten – ­ jedenfalls gefühlt – kurz vor einer Modellumsetzung. Wir haben zusammen mit der Art City Lab und in Kooperation mit raumlaborberlin (ein Berliner Architektur- und Kunstkollektiv – Anm. d. Red.) zusammengetragen, wie man günstig in Berlin, wie man in den richtigen Konstellationen und mit den richtigen Akteuren bauen kann. Und wie man an Geld kommen kann. Das Wissen ist also da. Und eigentlich ist die jetzige Immobilienkrise eine Chance. [Auszug...]

Schwegmann: Und das bedeutet nun: Land Berlin, sei jetzt nicht kurzsichtig! Jetzt musst du kaufen! Jetzt muss die öffentliche Hand eigentlich auch mal Schulden aufnehmen, weil der Markt solche Immobilien derzeit eh nicht haben will. Jetzt ist die Stunde, all die Dinge, die wir in den letzten Jahren an verschiedensten Standorten gelernt haben, in der Realität anzuwenden. [Auszug...] Zum Beispiel Hilfe zur Selbsthilfe, Baukostenzuschüsse oder funktionierende Bürgschaftsprogramme, auch eine Genossenschaftsanteilsförderung. [Auszug...] Und es muss auch mal ausprobiert werden; es ist es wichtig, dass es Testphasen und Pilotprojekte gibt.

Siebert: Wir fangen nicht bei Null an … Einerseits gibt es im privaten Immobilienbereich aktuell eine gestiegene Anzahl von Insolvenzen, so dass viele Bauprojekte nicht fertiggestellt werden können. Andererseits dürfen wir nicht davon ausgehen, dass Berlin weiterhin so attraktiv bleibt in Bezug auf Menschen, die hierher ziehen wollen. Diese Krise ist für das Land Berlin eine Chance, wieder Flächen zurückzukaufen. Es wurde ja nicht ohne Grund die Berliner Bodenfond GmbH als Tochter der BIM ins Leben gerufen. Wenn wir nicht jetzt diese Chance ergreifen, wo die Preise das erste Mal seit bestimmt 20 Jahren stagnieren – ich glaube nicht, dass es in Zukunft günstiger wird. Dass wir trotz alledem einen angespannten Haushalt haben, ist mir bewusst, aber ich sehe es nicht als Ausschlusskriterium.

Kaufen ist besser, weil langfristige Lösungen immer besser sind als kurzfristige … 

Siebert: Genau, das haben wir wieder gelernt. Das ist wie im Wohnungsbau, wo viele der geförderten Wohneinheiten für eine Laufzeit von 30 Jahren niedrige Mieten hatten – dann läuft die Mietpreisbindung aus. Der Kauf und vielleicht die Weitergabe per Erbbaurecht, über ein Konzeptverfahren oder eine Direktvergabe, wie wir sie nun in der Adalbertstraße anstreben, das alles ist wichtig und richtig.

Ein anderes Projekt Ihrer Laufbahn ist das Atelierhaus Osdorfer Straße.

Schwegmann: Da ist jetzt nach drei Jahren endlich die Genossenschaft so weit, das Grundstück zu beräumen, um mit dem Bauen anzufangen. Doch dann wurde das Projekt Ende des Jahres vom Hauptausschuss in letzter Sekunde gekippt. Das ist noch nicht ganz entschieden, aber das darf nicht sein: Da hat man Künstler:innen, die ihr Geld zusammen gekratzt haben, Architekten beauftragt, allen Widrigkeiten getrotzt haben. Und dann kommt das Land Berlin nach dreieinhalb Jahren um die Ecke und sagt, ach nee, wir finden jetzt aber Wohnungen und Kitas wichtiger als Künstler. [Auszug...]

Schwegmann: Das Atelier-Anmietprogramm war als Sofort-Programm gedacht. Also als schnelles Instrument. Die Idee dahinter: Wir mieten bei privaten Eigentümern an, subventionieren das runter, geben das an Künst­le­r:in­nen weiter – das ist nach wie vor eine schnelle Sache, im Prinzip.

Wie viel Geld steht dafür zur Verfügung?

Siebert: Die Anmietmittel im „Sammeltitel Arbeitsraumprogramm“ betragen für den Bestand der Ateliers rund 5 bis 5,5 Millionen Euro. Zum Neuanmieten stehen 2024 nur 1,5 Millionen, 2025 dann 3 Millionen Euro zur Verfügung, wenn diese Mittel durch Einsparungen im Haushalt nicht nochmal reduziert werden.

Schwegmann: Viele Mittel sind ja fest gebunden. Wir haben rund 1.300 geförderte Ateliers und das kostet Geld, viel von den 26 Millionen für die Herrichtung von Ateliers ist also gebunden. Man muss ehrlich sagen: Die schnelle Sache gibt es eher nicht. Vielmehr braucht es Flächen, die langfristig entwickelt werden können, und gleichzeitig günstig sind.

Frau Brodauf, Herr Siebert, wenn Sie sich zum Start etwas wünschen dürften, was wäre das?

Brodauf: Die Kunst als Kapital dieser Stadt ist ausgesprochen wichtig. Ich möchte die Künst­le­r:in­nen natürlich bei ihrem Einsatz für einem geeigneten Platz für ihre Arbeit vertreten. Vor allem in den Vorgängen, in denen die städtischen Strategien und Prozesse komplex, zeit- und energieaufwändig sind. Denn die Künst­le­r:in­nen haben ja schon einen Job: Nämlich Künst­le­r:in zu sein. Deren Arbeitszeit darf nicht, wie auch wieder im Fall der Uferhallen, über Jahre von bloßen Standortschwierigkeiten blockiert werden.

Siebert: Ohne Ateliers gibt es keine Kunst. Deshalb möchte ich jene an den Tisch bitten, und nicht abschrecken, die zu Ent­schei­dungs­trä­ge­r:in­nen gehören, egal ob aus dem Abgeordnetenhaus, den Verwaltungen, oder ob es private Eigentümer sind. Unsere Aufgabe ist es, zu übersetzen und zu vermitteln, welchen Wert die Kunst für unsere Gesellschaft und für unser Stadtbild hat.

Sie sind in erster Linie Interessensvertreter. [Auszug...]

Das Interview in ganzer Länge können Sie in der TAZ vom 6.3.2024 nachlesen: https://taz.de/Ueber-Ateliers-und-die-Immobilienkrise/!5987014/

im Interview:

Martin Schwegmann

ist Architekt und arbeitet seit 20 Jahren im Bereich nachhaltiger Stadtentwicklung. Er engagiert sich für gemeinwohlorientierte Bodenpolitik und klimagerechte Stadtentwicklung unter anderem als Mitglied am Runden Tisch Liegenschaftspolitik Berlin und Berater von Städten und Kommunen. Er ist Lehrbeauftragter für Transition Management. Er war von 2017 bis 2023 Atelierbeauftragter für Berlin.

Julia Brodauf

bildende Künstlerin und Autorin, war Mitbegründerin des artspring berlin Kunstfestivals und zuletzt Projektleiterin an der HGB Leipzig. Ein Schwerpunkt ihrer Publikationen und Lehrtätigkeit ist die Diskussion der emanzipierten Haltung von Künst­le­r:in­nen in Kunstwelt und Gesellschaft.

Lennart Siebert

Berliner Kulturmanager, ist auf gemeinwohlorientierte Kultur- und Liegenschaftspolitik spezialisiert. In verschiedenen Organisationen engagiert er sich seit 2010 für einen gemeinwohlorientierten Umgang mit der Ressource Raum sowie für eine Degentrifizierung Berlins.