Heike Ponwitz

Orpheus

1989

Orpheus
Säulenverbleiung in der U-Bahn Hannover

Bleierne aufgeriebene Säulenhäute schaffen im hektisch-zielstrebigen Getriebe ein Reich blindschimmernder Schwere, holen im Zitat des ihm zugewiesenen Metalls das mythische Bild des Hades in die unterirdische Station.
Beton erscheint durch seine Versiegelung hindurch, wird erstatbar in unzähligen eingeschmolzenen Narben. Reste zertrümmerter Anmut rühren schwach Trauer um längst versunkenes Leben.
Der Blick durch „antike“ (Tempel-) Doppelsäulen trifft auf die Gestalt der an den Tod verlorenen Eurydike, im „attischen“ Relief flankiert vom Geliebten Orpheus und Hermes, dem Wächter des Hades.

Die Auseinandersetzung der Künstlerin mit dem sakral-architektonischen Zitat im Funktionsbau des zwanzigsten Jahrhunderts führt zurück in das Weltbild seines Ursprungs, zur alten Menschheitsgeschichte vom Künstler Orpheus, der mit der Kunst seines Gesangs das Gesetz von der Endgültigkeit des Todes erweichte und dessen sehnsüchtiger Blick auf das Leben doch den Tod siegen ließ.
Zitatenkaskade aus verschollenen Bildern, die sinnlich-stofflich einen Raum enthebt in die Erinnerung an etwas, an das man sich nicht erinnern kann.
Forschend vermittelnder Blick der Künstlerin öffnet den Mythos für das eigene innere fragende Erleben.

E.S.