Uwe Jonas

Lohn der Angst (Marl)

2014

Das Ende der 60er Jahre teilweise fertiggestellte Marler Rathaus ist überzeugendes Zeichen einer prosperierenden Zeit, deren zupackendes Bekenntnis in eine goldene Zukunft an vielen Stellen im Ruhrgebiet in Architektur und Städteplanung aufleuchtet. Neben der Vision von Größe schwang bei diesem Versprechen von Problemlösungen (Verkehr, Wohnen, Freizeit) immer auch ein Gedanke von Vorsorge und Fürsorge mit, der eine sorgenfreie Zukunft aller Bürger bereithält.
Die 60er und 70er Jahre waren auch die Zeit der Einladungen in den Partykeller samt Verköstigungen (von der Schinkenrolle bis zur Bowle). Ein unbeschwertes Lebensgefühl hatte sich ausgebreitet, es konnte nur noch besser werden. In die Partykeller wurden Bars eingebaut und Lichtorgeln angeschlossen, um eine bessere Atmosphäre für den nächsten Engtanz, zum Beispiel zu Danyel Gérards „Butterfly“ (1971), zu schaffen.
Dieses „Gestern“ in der Stadt von heute verweist auf die Potentiale, die in den gelebten Visionen der Vergangenheit für das „Morgen“ verborgen sein könnten. Denn heute findet die Party unterm Dach des Rathauses statt, unter Ausschluss der Öffentlichkeit und nur noch als Schein ihrer selbst: Keine Musikfetzen wehen herunter. Vielleicht müssten nur die Musik aufgedreht und ein paar Leute einladen werden. Oder es sind Erinnerungen, die beim Flackern der Lichtorgel wieder auftauchen. Architektur und Zukunftsgläubigkeit in der westdeutschen Gesellschaft hatten damals eines gemein: sie kannten keine Angst. So ist die Intervention „Lohn der Angst“ mit einer Lichtorgel, die auf dem Marler Rathausdach zu Danyel Gérards „Butterfly“ (1971) flackert, nicht als Mahnung zu verstehen – sondern eher als melancholische Hoffnung, dass die Einfachheit wieder Fuß fassen könnte im Leben der Einzelnen und sie mit Mut ausstattet, gemeinsam zu handeln und optimistisch in die Zukunft zu blicken.