Katrin Wegemann

BEWEGEN, STILLSTEHEN, FÜHLEN

2017

Musik setzt ein. Eine Gruppe Jugendlicher strömt aus einem Gebäude und verharrt kurz darauf in ihren Bewegungen. Dieses temporäre „Einfrieren in der Zeit“ entstammt dem Spiel „Mannequin Challenge“, das über digitale Medien wie Youtube zum virtuellen Trend wurde. Doch in der Hertener Performance kommen weitere Gestaltungselemente hinzu: Zum einen ist das Erstarren immer an bestimmte Emotionen oder Ereignisse gebunden und wird von unterschiedlichen Liedern begleitet, zum anderen haben die Schüler kleine weiße Bälle bei sich, die sie als Aktionsobjekte einsetzen. Sobald Musik ertönt, verbleiben die Jugendlichen in ihrer zuletzt angenommenen Position, sind vollkommen still und regungslos. Entweder spüren sie einer Gefühlslage oder Stimmung nach, etwa Einsamkeit, Ekel, Furcht, Liebe, oder stellen eine Tätigkeit dar wie Feiern oder Einkaufen. Zu jedem „Einfrieren“ wurden ein thematisch und musikalisch passendes Lied sowie ein geeigneter Aufführungsort gefunden. Beide unterstreichen die dargestellten Gefühle und Tätigkeiten oder rufen sie gar erst hervor. Jeder ausgewählte – öffentliche – Raum hat seinen eigenen spezifischen Charakter und wird durch die Performance zu einer Bühne auf Zeit. Durch die unterschiedliche Platzgestaltung – geschlossen, überdacht, mit Wänden geschützt oder zu allen Seiten offen, eng oder weiträumig, mit Stadtinventar wie Gebäude(teile), Treppen, Laternen, Bäume oder Mülleimern versehen – ergeben sich spezielle Eigenheiten, die die Gruppe in ihre Aktionen integriert und in Dialog mit selbigen stellt.
Spielt keine Musik, sind die Jugendlichen Teil des Hertener Stadtalltags und bewegen sich in ihm, unterhalten sich, scherzen miteinander, sind laut und chaotisch, spielen mit den Bällen. Während der Zeiten im jeweiligen Thema dagegen werden letztere zu Gegenständen umfunktioniert – etwa zu einer kostbaren Ware, wenn auf dem Marktplatz das Einkaufen nachgespielt wird, oder zum wertvollen Ring, wenn beim Thema Liebe ein Heiratsantrag gemacht wird, oder auch zu einer gefährlichen Waffe, wenn es um Wut und Aggression geht. Wichtig ist, dass die Schüler während ihrer stillen Momente, in denen nur Musik zu hören ist, fast immer miteinander in Kontakt bleiben und z.B. in Kleingruppen von 2-5 Personen in enger Beziehung und Interaktion zueinander stehen.
So bewegen die jungen Menschen ihre Körper, verschiedene Themen und weiße Bälle durch den öffentlichen Stadtraum und gefrieren an unterschiedlichen Orten kurzzeitig zu Skulpturen und Standbildern. Damit besetzen sie in künstlerischer Weise die Stadt, stören im gewohnten Alltagsleben, irritieren und überraschen die Anwohner, machen sie aber gleichwohl aufmerksam und erzeugen den Eindruck, als bliebe für einen Moment die Zeit stehen. Der ungewöhnliche Rundgang endet mit einem abschließenden Gruppenbild.