Christine Rusche

BAFFLE

2015

Raum-Zeichnung/Wandmalerei, PVAC Wandfarbe, 8,50 m x 5,50 m x 4,20 m, KAI10 Arthena Foundation, Düsseldorf

Ausstellung "Broken Spaces", kuratiert von Ludwig Seyfarth (Katalogtext siehe unten)

Künstler:
Benjamin Houlihan, Harald Klingelhöller, Charlotte Posenenske, Christine Rusche, Tatjana Trouvé

Katalogtext:
“BAFFLE” aus “Broken Spaces” von Ludwig Seyfarth

Die schwarzweißen wandfüllenden „Raum-Zeichnungen“ von Christine Rusche sind in mehrfacher Hinsicht auf einer Grenze oder in einem Zwischenraum angesiedelt. Die Künstlerin selbst spricht von „auf die spezifischen Gegebenheiten eines Raumes und seiner Architektur hin erarbeiteten raumgreifenden Zeichnungen“. Da diese Raum-Zeichnungen nach einem umfangreichen Vorbereitungsprozess mit Farbe auf die Wand aufgetragen werden, sind sie gleichzeitig auch Malereien. Es sind flächige Bilder, aber gleichzeitig sind sie auch Bestandteil der Architektur: „Raum und Zeichnung verbinden sich auf eine Weise, die zu einer Durchdringung des architektonischen Raumes und des Bildraums führt. Einerseits erscheint die Malerei mit ihren flachen monochromen Formen innerhalb des architektonischen Raumes auf eigenen Bildebenen, welche die verschiedenen Oberflächen des Ausstellungsraumes als Träger gebraucht. Andererseits wird der Ausstellungsraum durch die zeichnerischen Eingriffe ‚markiert’ und auf diese Weise die Architektur selbst präsentiert.“

Die streng geometrische Bildsprache Rusches erinnert an die Formenwelt des Konstruktivismus, aber widerspricht dessen radikaler Zurückweisung der dreidimensionalen Illusion. Wie in einer Aussage El Lissitzkys paradigmatisch zum Ausdruck kommt, lesen die Konstruktivisten den Bildraum konsequent als Flächenmuster: “Die Perspektive hat die Welt in einen Würfel eingerahmt und ihn so transformiert, dass er in der Fläche als Pyramide erscheint.”

In den flächigen Kompositionen Christine Rusches hingegen überlagern sich mehrere räumliche Koordinaten, wodurch zwar keine direkte illusionistische Wirkung entsteht, aber durch den rhythmischen Wechsel schwarzer und weißer Flächen wird der reale Raum beziehungsweise die Wand imaginär in Bewegung versetzt. Die Dynamik der scharfkantigen Formen mit ihrer fast psychedelischen Sogkraft lässt an die Versuche der Futuristen oder Expressionisten denken, eine direkte Darstellung der Bewegung in statischen Bildern zu erreichen. Bei Christine Rusche entsteht der Bewegungseffekt auch durch die Aufforderung an die Betrachter, sich selbst im Raum und entlang der Raum-Zeichnung zu bewegen, da diese von keinem einzelnen Standpunkt aus vollständig sichtbar ist.

Bei der Vorbereitung der Raum-Zeichnungen findet eine sorgfältige Analyse der sichtbaren und unsichtbaren Koordinaten (beispielsweise Licht, Bewegungsrichtungen, Akustik, subjektives Raumempfinden) der bestehenden Architektur statt, ohne dass man von einem ausschließlich ortsbezogenen Vorgehen sprechen könnte. Denn die sorgfältigen Messungen, welche die Künstlerin vornimmt, gehen eher als Orientierungspunkte und -linien, als Markierungen in die Komposition ein, die so im übertragenen Sinne die Übersetzung einer Art Partitur darstellt. Auch Untersuchungen der Raumakustik können ein Element in der Struktur der Notationen bilden, die das Wandbild vorbereiten. Bezüge zur Akustik werden auch durch Titel wie ECHO CHAMBER hergestellt. BAFFLE, der Titel der Raum-Zeichnung in der Ausstellung Broken Spaces, verweist zunächst auf die technische Bedeutung des Begriffs: Schall- oder Resonanzwand, Reflektor oder ein Hindernis, an dem etwas abprallt. Auch spielt eine weitere Wortbedeutung hinein, die mit Verblüffung oder Täuschung übersetzt werden könnte. Diese lässt sich auf das Moment der Illusion beziehen, das in der Überlagerung der räumlichen Ebenen enthalten ist.

Notation und Realisation durchdringen einander wie bei einer Landkarte, die gleichzeitig das Abbild eines Territoriums ist. Dass die Raum-Zeichnungen in Analogie zur Musik als Aufführungen aufgefasst werden könnten, entspricht ihrer zeitlichen Begrenztheit, da sie in der Regel nur für die Laufzeit einer Ausstellung existieren. So spricht Christine Rusche selbst von „temporären Orten“, aus denen sie jedoch immer auch etwas „mitnimmt“. Denn neben den im Zentrum ihrer Arbeit stehenden Raum-Zeichnungen existieren kleinere gerahmte, in der Regel mit Edding-Tusche auf Backlit-Folie ausgeführte „Framed Spaces“, auf denen die Künstlerin Elemente, die sich im Entstehungsprozess der Wandbilder herauskristallisiert haben, aufgreift und isoliert weiterverfolgt. So lässt sich ihr gesamtes Werk als ein ständiges in-Bewegung-Setzen und Weiterwandern von Formen und Konstellationen sehen. Jede physische Realisation erzeugt gleichsam einen Resonanzraum oder eine Echokammer, in der alle anderen Werke Rusches, die man bereits irgendwo gesehen hat, hinter den aktuell sichtbaren, sich mehrfach überlagernden Formen zusätzlich wiederhallen. So ist der Singular im Begriff „Raum-Zeichnung“ fast irreführend, da es stets um Verhältnisse verschiedener Räume geht, die immer wieder neu ausgelotet werden.