Adorno Monument – Frankfurt am Main
Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich bin mir bis zum heutigen Tag nicht sicher, ob es nötig war, hier öffentlich zur Schau zu stellen, was für jeden von uns das höchste Gut darstellt - das Persönliche, Intime, Innerste. Und dies nicht etwa deshalb, weil ich Sorge hätte, daß das Individuelle von der kalten Maschinerie der Gesellschaft niedergedrückt werden könnte, wie dies in unserer Geschichte mehr als einmal der Fall war. Nein. Meine Zweifel fußen vielmehr im Gegenteil. Ich fürchte, daß das Private, einmal sarkastischen Blicken ausgesetzt, plötzlich all seine ihm innewohnende Kraft entfaltet, diese dünne Glashülle durchbricht und uns mit seinem Wahnsinn der Einsamkeit fortreißt.
Ich habe mir die Unglaublichkeit oder vielleicht sogar Unerhörtheit erlaubt, erstmals das unter freien Himmel zu stellen, was immer unzugänglich und fremden Blicken verborgen war.
Ich denke, daß Ihnen vielleicht noch nicht ganz klar ist, was sie hier eigentlich vor sich sehen. Wenn sie glauben, daß sie hier einen Tisch und einen Stuhl unter einem Glaskasten vor sich haben, sollten sie sich besser umdrehen, gehen und hier niemals mehr auftauchen.
Dies hier ist jener Ursprungsort, von dem aus ALLES seinen Anfang nimmt, wo das Mögliche und das Unmögliche geschehen, von dem aus das Individuelle in einem einzigen Moment gewaltige Räume und die Geister von Millionen erfassen kann. Gerade das Arbeitszimmer ist der Ort, an dem sich die Schicksale und Geisteshaltungen von Generationen herausbilden, an dem die Ethik und Ästhetik des Verhaltens entworfen wird. Diese Kombination, die sie hier vor sich sehen - Tisch, Stuhl, Licht und Rhythmus - ist nichts anderes als jene universale Verbindung, die schon vor der Erschaffung der Menschheit bestanden haben muß, bevor auch nur das erste Wort gesprochen wurde. Dieses erstaunlich harmonische Quartett ist Grenze und Grund von Schaffen und Geist. Und ohne diese vier überaus einfachen Elemente wären wir arm und verlassen wie Kirchenmäuse.
Wir feiern heute den 100. Geburtstag jenes herausragenden Menschen, der hier ganz in der Nähe gelebt und gearbeitet hat. Aber hinter seinem Rücken habe ich an diesem Tisch hier all die Hunderte oder vielleicht sogar Tausende Genies und Halbgenies versteckt, die in einer ähnlich puritanischen Atmosphäre sitzend, für immer in unser Bewußtsein, in unsere Gedanken und Handlungen eingegangen sind, ohne uns um Erlaubnis zu fragen.
Dieses Monument ist kein Denkmal der Vergangenheit. Wir haben bereits Tausende Denkmäler, die nicht mehr sind als ein Haufen Eisen, Denkmäler ohne Kopf und Verstand, Denkmäler, die schon älter sind als die Vergangenheit, bevor sie überhaupt aufgestellt werden. Das, was ihnen heute vielleicht unerhört ambitioniert erscheinen mag, ist eine Zeit und Raum entrissene Pause, ein Zeit und Raum entrissenes Schweigen. Dies hier ist ein Monument für das schöpferische Nachdenken, für jenen Moment, in dem der Gedanke noch nicht die Schwelle der Bewußtwerdung überschritten hat.
Und gleichzeitig ist dieses Projekt das reine Produkt eines Gedankens, das aus Dingen entstanden ist, die Ihnen selbst gut bekannt sind. Hier liegt keinerlei Neuerertum vor. Mein eigener Beitrag ist eher gering. Vielmehr haben das Erkennbare und Bekannte, in einfacher Weise an einem Punkt fokussiert, selbst diesen Porträtabzug dessen entstehen lassen, der Jubilar und Herr des heutigen Tages ist.
Man mag mit einer gehörigen Portion Ironie darüber streiten, ob es dem Künstler (also mir) gelungen ist, diesen oder jenen Charakterzug einzufangen, oder ob das Porträt vielleicht nicht gelungen ist. Hier steht mir ein Urteil nicht zu. Ich hoffe nur darauf, daß dieses Metronom, das Herz des Monuments (und vielleicht auch das Herz dieser wunderbaren Stadt) nicht die Zeit messen wird, sondern uns an deren ewige Abwesenheit erinnern wird. Und zu helfen, diese kolossale Arbeit zu realisieren, bitten wir den Philosophen Theodor Adorno.
Vadim Zakharov 10.9.2003