Thierry Noir
Malerei, Grafik / Zeichnung, Performance / Aktionskunst, Graffiti, Design
* 1958
Index
Text
Leben an der Mauer in den 80er Jahren von Thierry Noir.
Man erzählte mir eine Menge Geschichten über Berlin. Zu diesem Zeitpunkt waren viele Künstler und Musiker in West-Berlin: David Bowie, Iggy Pop, Nina Hagen, und die Neue Deutsche Welle so dass ich mir sagte: Warum gehen sie alle nach Berlin und nicht nach Lyon wo, ich zu dieser Zeit war?
Also fuhr ich los mit dem Zug, am 21. Januar 1982, von Lyon nach Berlin West. Zum Glück hatte ich keine Hin und Rückfahrschein, sonst wäre ich sofort zurückgefahren, denn als ich nach 21 Stunden Zug endlich am "Bahnhof Zoo" hinkam, roch es nach Urin, es war dunkel, es war kalt, ich hatte wirklich Angst. Hatte ich aber kein Rückfahrschein, also blieb ich in Westberlin.
Nach einer Woche merkte ich, dass jeder um mich herum ein Künstler ist. Wenn also jemand fragte mich, ob ich auch ein Künstler bin, antwortete ich "Ja". Ich wollte nicht das Gesicht verlieren. Ich dachte wenn ich jetzt nein sage, die Anderen würden mit mir vielleicht nicht mehr sprechen.
Also sagte ich: Ja! Ich bin ein Multitalent. Ich kann alles: singen, Gitarre spielen, Gedichten schreiben, malen, improvisieren, Tamtam spielen... Das war wie, als ich in einem Hexenkessel von Kreativität, was West-Berlin zu dieser Zeit war, hingerutscht wäre. In der Tat, um sich von das künstliches Leben umgeben mit einer Mauer zu schützen und sich lebendig zu fühlen, musste man selbst kreativ sein um nicht unter die süße Melancholie hinzufallen.
Ich kam in Berlin im Januar 1982 aber begann ich erst Ende April 1984 die Mauer zu malen. Die Leute dachten, ich wurde von der Stadt Berlin bezahlt um der Nachbarschaft zu schmücken, so dass ich immer wieder erklärte, selbst wenn man Hunderten von Kilo Farben an der Mauer malt, die Mauer wird nie schön. Allmählich Passanten fangen an zu verstehen, was ich meinte, aber es war schwer, weil eine volle Deckung der Mauer etwas Neues war. Alles, was neu ist, einige Masse stört.
Manche glaubten sogar, dass ich aus Frankreich, nur für ein Wochenende kam, um, eingeladen vom Senat, die Stadt zu verschönen und Kreuzberg für Touristen attraktiver zu machen.
Als ich nach Berlin ankam, wusste ich nichts über die Stadt und das erste Mal als ich die Mauer sah, fand ich sie klein. Ich sagte mir "Das ist die Berliner Mauer! deswegen gibt es dieses ganze Getue! Ich stellte mir die Mauer mindestens 10 Meter hoch vor, aber in Wirklichkeit sind es nur 3,60 Meter. Später wurde es mir klar, dass die Stärke der Mauer ihrer Breite war. Die Mauer war eine mörderischen Maschine, auch sehr gut organisiert, gebaut mit 2 geschlossenen Wänden und inzwischen ein Niemandsland die etwa 50 Meter breit war.
Als ich klein war, meine Eltern und ich, gingen wir fast jeden Sonntag um Tieren zu sehen, ins „Parc de la Tête d'Or“, ein Tierpark im Lyon wo ich groß geworden bin. Jeden Sonntag sahen wir das Krokodil und es rührte sich nie, wie ein Stückchen Holz, aus dem Boden. Eines Tages, das Krokodil hat sich plötzlich umgedreht und dem Fuß eines Pflegers, die ihm Lebensmittel brachte, fast zugebissen. Alle Leute schrien und ich erkannte, dass ein Krokodil sehr gefährlich sein könnte. Später in Berlin habe ich mich daran erinnert, und bemerkte ich, dass die Mauer genau so war. Ich habe an der Mauer etwas Spektakuläres nie gesehen, sah ich auch niemals die Soldaten schießen oder Jemand der verhaften wurde, aber plötzlich könnte man in den Zeitungen lesen, dass 2 Personen in der Nacht an der Mauer getötet wurden.
Zu Beginn, mit Christophe Bouchet, malte ich Nachts, aber nach 3 Wochen, in Mai 1984, während der Dreharbeiten mit Sender Freies Berlin, wurde wir so sehr ausführlich, von den Grenzsoldaten der DDR, fotografiert, dass danach malte ich wenn ich wollte. Ich war auch gleichzeitig vorsichtiger geworden.
Ich habe, ab dann, versucht, an Orten zu malen, wie zum Beispiel, „Potsdamerplatz“, wo vielen Zuschauern waren. Ich malte die Mauer, um sie fallen zu sehen, aber ohne die ostdeutschen Soldaten zu provozieren, oder sie zu beleidigen. Ich warf keine Farben oder Müll über die Mauer, dann die Grenzsoldaten haben mich meistens in Ruhe gelassen.
Zwischen April 1984 und dem Ende der Mauer malte ich mit Christophe Bouchet und Kiddy Citny circa 5 km der Berliner Mauer, die 45 km lange zwischen Ost-Berlin und West-Berlin war. Ich malte mit kleinen Rollen, großen Fresken, unter dem Motto: 2 Ideen 3 Farben zusammen mischen und das Bildfertig ist. Die Welt in 10 Minuten geändert.
Die meisten Deutschen ignorierte die Mauer. Es war wie ein Tabu in ihrem Leben. Sie kamen an die Mauer einmal im Jahr mit der Familie oder Freunden, um sie die Mauer zu zeigen und dann es war’s. Einige machten sogar einen Umweg um die Mauer zu vermeiden. Deutsche Künstler wollten die Mauer nicht bemalen.
Am 9. November 1989 um 23.00 Uhr, führte ich nach Hause und plötzlich am „Checkpoint Charlie“ steckte ich im Stau. Ich blieb dort bis 4.00 Uhr Morgens. Es war gerade diesen großen Moment das man immer davon träumt. Eine intensive Freude. Dann in den folgenden Wochen habe ich der Rückseite der Mauer gemalt, durch die Löcher die, die Menschen, mit Meißel und Hämmer in kleine Stücke schlugen. Auch wenn es regnete die Leute versuchten sie sich ein Regenschirm, unter dem Arm zu stecken, um weiterhin an der Mauer zu klopfen. Es war der Goldrausch.
Alles war möglich. Wir entdeckten eine neue Stadt. Es gab Techno-Clubs in der ganzen Stadt. Die 80er waren vorbei.
Vita
Thierry Noir, der Mann dem die größte Betonleinwand der Welt zu verdanken ist.
Thierry Noir wurde 1958 in Lyon, Frankreich geboren. Anfang 1982 ging er nach Berlin, angelockt durch die Musik der damals in Berlin lebender Musiker David Bowie, Nina Hagen und Iggy Pop.
Ende April 1984 begann er mit der Bemalung der Berliner Mauer und wurde schnell auch einem internationalen Publikum bekannt. innerhalb der Kunstszene entsprechend gewürdigt wurden. Es war strengstens verboten die Mauer zu bemalen. Es zu tun war gefährlich.
Eine Art körperliche Reaktion gegen den Druck des täglichen Lebens neben der Berliner Mauer.
Zwei Jahre später arbeitete er zusammen mit Wim Wenders für den Film „Der Himmel über Berlin“. Es ging nicht darum die Mauer zu verschönern, sondern zu entmythisieren. Man könnte diese Mauer mit Hunderten von Kilos Farbe bemalen, sie werde immer dieselbe bleiben: Eine tödliche Maschine. Ein blutiges Ungeheuer, ein altes Krokodil, das ab und zu aufwacht, jemanden verschlingt, und dann wieder einschläft, bis zu nächsten mal. Die Malerei auf der Berliner Mauer war immer etwas Besonderes.
Die Bilder von Noir wurden nach der Wiedervereinigung als Symbol für die neue Freiheit interpretiert. Sie tragen eine typische, allegorienreiche und bildrätselhafte Handschrift. Sie sind gleichfalls Sinnbilder für eine Welt der Poesie und stehen für eine Sehnsucht der Liebe und einen optimistischen Glauben an eine hoffnungsvolle Zukunft.
Seine Bilder sind zu den am leichtesten identifizierbaren Bildern der Berliner Mauerkunst, die aufgrund ihrer leuchtenden Farbigkeit und melancholischen Poesie länger als andere Bilder auf der Berliner Mauer überleben konnten.