Hartmut Sy
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Genauigkeit und Freiheit
Die Entwicklung von Hartmut Sy - als Künstler - haben wir von Anfang an miterleben dürfen. So sei es erlaubt, einiges zu dieser Entwicklung zu sagen, aus der Sicht der älteren Kollegen und, nennen wir es ruhig so, ehemaligen Lehrmeister.
Denn als er Ende 1987 bei uns erschien, um zu fragen ob er bei uns assistieren könne, hatte er offenbar noch zu keiner eigenen Ausdrucksform gefunden; nur dass er mit Metall arbeiten wollte, war ihm klar. Er schien zu wissen, was er wollte, ohne genau zu wissen, was es war das er wollte. Uns gefiel die Mischung aus Bestimmtheit und Bescheidenheit, mit der er auftrat. Und so begann er, mit uns zu arbeiten - trotz seiner Warnung, dass es mit seinem handwerklichen Geschick nicht allzu weit her sei. Er half uns bei der Ausführung mehrerer mittelgroßer Messingarbeiten, lernte die erforderlichen Techniken, und er fing allmählich an mit eigenen Versuchen.
Wenn man das kleine Atelier betritt, das Hartmut sich in seiner Wohnung eingerichtet hat, überrascht die Ordnung, eine überlegte und auch dem Besucher wohltuende Ordnung, die im Gegensatz zu dem Klischee vom schöpferischen Chaos steht, das den Künstler zu umgeben hat (und an das auch wir nicht glauben). Es ist keine Ordnung um ihrer selbst willen, sondern vielmehr die Voraussetzung für einen von praktischen Hindernissen möglichst freien Arbeitsablauf. Dies haben wir von Henry Moore gelernt - genau vierzig Jahre bevor Hartmut bei uns anfing.
Nüchternheit und Poesie,
Genauigkeit und Freiheit
bilden in den Arbeiten von Hartmut Sy eine völlig natürliche Synthese. Würfel, Quader oder Balken werden durch ihre von Metallstäben beschriebenen Konturen sichtbar. Sie verschränken sich ineinander, scheinen auseinander zu fallen oder ineinander zu stürzen. Sie sind auf kompliziert wirkende Weise zusammengefügt, jedoch ist ihre Ordnung auf Grund ihrer Durchsichtigkeit ablesbar. Die in sich starren Gebilde wirken bewegt und schwerelos, trotz der oftmals integrierten Pflastersteine, die von dem Metallgerüst gehoben und gehalten werden oder auch als Fußpunkt dienen. Der unregelmäßig behauene Steinwürfel verkörpert Erdhaftigkeit neben der kristallinen Metallkonstruktion - wieder sehen wir die Vereinigung scheinbarer Gegensätze.
Eine der ersten dieser Arbeiten (WVZ 09 93) steht bei uns . Wir sahen sie damals, 1993, und sehen sie noch als den Beginn eines eigenständigen bildhauerischen Weges. Seither hat Hartmut Sy diesen Weg langsam und stetig weiter verfolgt, der Weg wird zur gangbaren Straße und bietet vielversprechende Ausblicke. So fügen sich in einer der späteren Arbeiten (WVZ 82 05) Steine und Metallwürfel als ihre transparenten Entsprechungen, zu leichten aufwärtsweisenden Biegungen aneinander - ein Schritt, der neue Möglichkeiten ahnen lässt.
Wie in aller Welt bist Du auf die Pflastersteine gekommen, fragen wir. Er sieht uns ratlos an. Immerhin erfahren wir, dass er schon seit langem solche Steine, wann immer sich die Möglichkeit bot, mit nach Hause gebracht hat, einfach weil sie ihm gefielen. Aber wie kam die Idee, sie in seine Skulpturen zu integrieren? Er weiß es nicht. Aber wir hätten wissen sollen, dass man so etwas nicht „weiß“, nicht plant - es stellt sich ein und tritt mit einem unvermittelten Satz ins Bewusstsein.
Dieselbe Präzision wie bei den Skulpturen finden wir bei den Papierarbeiten. Wir sehen Zeichnungen, die den plastischen Gebilden ähneln, nicht im Sinne von Entwürfen, sondern als parallele Ausdrucksweise mit zweidimensionalen Mitteln. Und wir sehen diese erstaunlichen - wie soll man sie nennen - Negativ-Scherenschnitte, hart und zart zugleich, die zu beschreiben uns kaum möglich ist: Weiß auf Weiß, der geringe Abstand zwischen Rück- und Vorderblatt mit den darauf angeordneten Ausschnitten lässt deren Leere plastisch wirken.
Wir haben es hier mit einem Künstler zu tun, der sich der Schnelligkeit, der Sensations- und Erfolgsgier unseres derzeitigen Kunstbetriebes entzieht, vielleicht nicht einmal bewusst entzieht, sondern einfach seinem Wesen entsprechend außerhalb davon arbeitet. Das gefällt uns. Denn es gilt, mit der Kunst anderes zu transportieren und sichtbar zu machen als Abbilder von Schlagzeilen. Es gilt vielmehr, unserer lärmenden und scheinbar inhaltslosen Welt eine Ordnung entgegen zu halten, an der sich eine neue Orientierung festmachen kann.
Ein hoher Anspruch zwar - doch versuchen wir‘s!
Brigitte Matschinsky-Denninghoff
Berlin, Januar 2007
Vita
1962 - geboren in Cloppenburg
1983 - Abitur, Hamburg
1983 - 1987 - private Bildhauerschule, Freiburg
1988 - 1993 - Mitarbeit bei Brigitte u. Martin Matschinsky-Denninghoff, Berlin
seit 1993 - Mitglied im Berufsverband Bildender Künstler (bbk-berlin)
- lebt in Berlin
Einzelausstellungen (Auswahl)
2008 - „In Bewegung“ - Neue Skulpturen und Papierarbeiten, Galerie Linneborn, Berlin
2007 - „Genauigkeit und Freiheit“, Hubertus Melsheimer KUNSTHANDEL, Köln
2004 - „Skulpturen und Papierarbeiten“, Dr. Irene Lehr Kunsthandel, Berlin
1997 - Sommer-Interim-Einzelausstellung „Brückenschlag“, Bildhauer-Foyer im Constanze Pressehaus, Berlin
Gemeinschaftsausstellungen (Auswahl)
2011 - „Ein Streifzug durch die Moderne“, Galerie Koch, Hannover
2011 - Galerie 15a, Lochem, Niederlande
2010 - „55 Jahre Galerie Koch - Meisterwerke der Bildhauerei“ , Galerie Koch, Hannover
2010 - Galerie 15a, Lochem, Niederlande
2008 - „Bildhauerei heute - Perspektiven VI“, Galerie Koch, Hannover
2004 - Skulpturenausstellung, Skulptur in Bissee e.V., Galerie und Landschaft, Bissee
1995 - „In Raum und Fläche“, Galerie Pels-Leusden, Berlin
1994 - 17. Japanische Ausstellung der Metallbildner, Deutsches Kulturzentrum, Tokyo
Arbeiten in Sammlungen (Auswahl)
1994 - Museum Folkwang, Essen
1992 - Graphothek City Charlottenburg, Berlin
Skulpturen im öffentlichen Raum
2009 - Brücke - Ökumenisches Forum HafenCity, Hamburg
2005 - Vivantes, Humboldt-Klinikum, Berlin
2003 - Ev.-Luth.Kirchengemeinde Klein-Wesenberg, Klein-Wesenburg
2002 - Vivantes, Klinikum im Friedrichshain, Berlin
2000 - Skulpturenpark, KunstHaus am Schüberg, Ammersbek